Psychologie des Strafverfahrens

43. Strafverteidigertag

22. - 24. März 2019

Regensburg

Veranstalter:
Baden-Württembergische Strafverteidiger e.V. | Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V. | Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V. | Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V. | Vereinigung Hessischer Strafverteidiger e.V. | Strafrechtsausschuss des Kölner Anwaltverein e.V. Strafverteidigerinnen- und Strafverteidigerverein Mecklenburg-Vorpommern e.V. | Vereinigung Niedersächsischer und Bremer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V. | Strafverteidigervereinigung NRW e.V. | Vereinigung Rheinland-Pfälzischer und Saarländischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V. | Strafverteidiger Sachsen/Sachsen-Anhalt e.V. | Schleswig-Holsteinische Strafverteidigervereinigung e.V.

Psychologie des Strafverfahrens

Zum Thema:

Psychologie des Strafverfahrens

So, wie das Strafrecht klassisches Subordinationsrecht ist, das den/die Verurteilte/n unter die strafende Macht des Staates zwingt, so stellt sich der deutsche Strafprozess als ein formalisiertes Macht-Ohnmacht-Verhältnis dar. Dabei wird Macht symbolisch repräsentiert durch eine formalisierte Kleider- und Sitzordnung, festgelegte Verhaltensrituale (aufstehen), eine exklusive Sprache und mitunter auch ganz konkret durch die Beschuldigtenvorführung in Hand- oder Fußfesseln.

Zugleich aber besitzt die ›Form‹ des Verfahrens freiheitsschützende Aspekte: Strafprozessuale Regeln dienen auch dazu, die Suche nach einer ›materiellen Wahrheit‹ gegen die Verzerrungen abzusichern, die das evidente Ungleichverhältnis zwischen Beschuldigten einerseits, Anklage- und Ermittlungsbehörden sowie Gericht andererseits zwangsläufig mit sich bringt. Denn Beschuldigtenrechte sind kein Zugeständnis der Macht an den Ohnmächtigen, sondern funktionale Notwendigkeit zur Ermittlung der (notwendig beschränkten) strafprozessualen Wahrheit.

Aus diesem Spannungsfeld heraus erwächst ein zentrales Argument für den Schutz und Ausbau von Beschuldigten- und Verteidigungsrechten im Strafprozess: Denn nur, wo der/die Beschuldigte über wirkungsvolle Rechte und effektive Möglichkeiten zur Gegenwehr verfügt, macht das Strafverfahren unter dem Vorzeichen der ›Wahrheitssuche‹ überhaupt Sinn; ein Abbau dieser Rechte geht zwangsläufig einher mit der Delegitimierung des Anspruchs, eine materielle ›Wahrheit‹ mithilfe des Verfahrens zu ermitteln. Es bliebe vom Strafprozess wenig mehr als die Demonstration von Macht als juristische Folklore.

Die Beschäftigung mit der ›Psychologie des Strafverfahrens‹ soll sich daher nicht alleine auf Fragen symbolischer Interaktion von Prozessbeteiligten oder die Feinheiten der Aussage- und Vernehmungspsychologie beschränken, sondern vielmehr den gesamten Prozess der justiziellen Wahrheitsproduktion umfassen, in dessen Verlauf der/die Beschuldigte zuerst unter die ermittelte ›Wahrheit‹ der Ermittlungsbehörden, sodann unter die prozessuale ›Wahrheit‹ des Gerichts und schließlich unter die ganz konkrete Wahrheit der Rechtsfolgen gezwungen wird.

Programm

Zu den Arbeitsgruppen

 

AG 1 : Selbstbild und Fremdbild der Strafverteidigung im Strafprozess

 

Zahlreiche spektakuläre Fehlurteile haben in den vergangenen Jahren einer breiten Öffentlichkeit die Unzulänglichkeiten unseres Strafjustizsystems aufgezeigt. Eine (fehlende) Kritikkultur der Justiz nach diesen Fehlurteilen wurde offensichtlich.

Dabei waren die Strafverteidiger*innen jeweils auch Teil dieser Fehlurteile! Selbstreflexion und Selbstkritik ist auch unter Strafverteidiger*innen eher selten. (Fast) jede*r hält sich für einen »guten Verteidiger«.

Die AG soll eine kritische Außenansicht auf die jeweiligen Akteure im Strafverfahren und zugleich eine kritische Eigenbetrachtung bieten. Auf der Grundlage einer kritischen Selbstreflexion sollen Verbesserungsmöglichkeiten von Verteidigung aufzeigt werden. Die Qualitätssicherung und -verbesserung ist nicht zuletzt mit Blick auf die Europarichtlinie RL 2016/1919 (Qualitätskontrolle) von entscheidender Bedeutung.

Referent*innen: angefragt

Moderation: RAin Ricarda Lang, München

 

AG 2 : Interaktion im Strafverfahren

Die AG wird sich mit psychologischen und soziologischen Aspekten der Interaktion von Verfahrensbeteiligten beschäftigen, um einerseits Mechanismen zu verstehen und zu erkennen, um sie andererseits für unsere Arbeit nutzbar zu machen.

Soziologie: Interaktionsanalyse (PD Dr. Daniela Böhringer)

Die strategische Interaktionsforschung in der Soziologie beschäftigt sich mit Ablauf- und Organisationsstrukturen spezifischer Kommunikationsformen. Dazu gehört nicht nur die Frage nach Strategien eventuell dominierender Interaktionspartner (Richter), auch die Besonderheit der Kommunikationsstruktur, Störungen und Beeinträchtigungen des Argumentationsschemas sowie Hierarchiegefüge und der Begriff der Wahrheitssuche auf kommunikativ-konsensueller Ebene geraten ins Blickfeld. Wir beschäftigen uns mit der Erkennung von Interaktionsstrategien im Strafprozess und

deren Anwendung und Nutzung für die Verteidigung. Psychologie: Urteilsheuristik, -verzerrung und -fehler (Dipl.-Psych. Alica Mohnert & PD Dr. Daniel Oliver Effer-Uhe) Fehler und Stolpersteine in der Interaktion der Verfahrensbeteiligten können sich für den Angeklagten gravierend auswirken. Neben der Darstellung und Analyse solcher Gefahrenquellen geht es um die praktische Anwendung z.B. beim Aufbau des Plädoyers, bei Strafmaßforderungen, statistischen Fehlschlüssen und beim Auftreten des Angeklagten

Psychologie: Macht und Ohnmacht in der Hauptverhandlung (Prof. Dr. Jürgen Hardeck) Ohnmacht als das Gefühl von Hilflosigkeit und mangelnden Einflussmöglichkeiten im Verhältnis zu den objektiven

Notwendigkeiten kann mit Angst, Wut und Frustration einhergehen. Keiner will ›ohne Macht‹ sein. Die Ohnmacht des Mandanten, die eigene Ohnmacht und die Ohnmacht des Gerichts zu erkennen, darauf zu reagieren und aus der Passivität herauszufinden, gewährleistet eine erfolgreiche Verteidigung. Die psychologischen Grundlagen hierfür werden in diesem Referat dargestellt und erläutert.

 

Rechtswissenschaft: Notfallkoffer und andere Beschlussvorlagen als Interaktionsverhinderer - Dialogreferat mit einem Richter und einer Verteidigerin (VRiOLG Lars Bachler & RAin Andrea Groß-Bölting) Fortbildungen für Richter, in denen Formulare für den Umgang mit möglichst vielen denkbaren Anträgen der Verteidigung angeboten werden, scheinen zunehmend einen größeren Kreis von Teilnehmern zu erreichen. Immer häufiger begegnen Verteidiger in ihrer Arbeit den gleichen inhaltsleeren Beschlusshülsen als Antwort auf ihre Anträge. Damit wird eine echte Interaktion verhindert. Warum meinen Richter darauf angewiesen zu sein? Wie reagiert man als Verteidiger darauf?

Welche Weichen werden durch die Benutzung der Formulare für den Prozess gestellt?

 

Referent*innen:

PD Dr. Daniela Böhringer

Dipl.-Psych. Alica Mohnert

PD Dr. Daniel Oliver Effer-Uhe

Prof. Dr. Jürgen Hardeck

VRiOLG Lars Bachler

RAin Andrea Groß-Bölting

Moderation: RA Georg Schulze, Bielefeld

AG 3 : Erleben, Verstehen, Voraussehen – Verteidiger*innen-Verhalten reflektieren

 

Die Konzeption der Veranstaltung wurde durch jährliche Evaluationen stets weiterentwickelt. Es kann nicht mehr nur das Rollenverhalten in der Hauptverhandlung, sondern in der gesamten Interaktion ab Erstgespräch reflektiert werden. Das darstellende Spiel und das szenische Verstehen wird auch Situationen im Richterzimmer, zwischen Beteiligten in Unterbrechungen und mit dem Mandanten im Büro oder in der JVA thematisieren. »Getragen und gestaltet wird die Rechtsprechung (und Rechtsfindung; A.M.) von Menschen mit ihren Stärken und Schwächen, die den Beteiligten keineswegs verborgen bleiben und (…) auch gar nicht verborgen werden sollten« (Dieterich, T.; Richterleben; BWV; 2016).

Die Teilnehmerzahl ist auf 30 Personen begrenzt. Ein AG-Wechsel während des Tages ist nicht erwünscht. Interessent*innen melden sich bitte vorab und verbindlich für die AG an. Es erfolgt eine Anmelde- bzw. Teilnahmebestätigung.

Referent*innen:

RA Andreas Mroß, Lübeck

Swantje Nölke, Theaterpädagogin, Projektleitung, kulturinitiative zwenkau e.V.

Sarah Eger, Theaterpädagogin/ Projektkoordinatorin, Sinus - Büro für Kommunikation

 

AG 4 : Pranger 3.0

 

Das öffentliche Klima hat sich in den letzten Jahren dramatisch in Richtung Sicherheit verschoben. Politiker fordern eine »neue Sicherheitsarchitektur« (de Maiziere) und die Justiz wird allenthalben als »zu lasch« kritisiert. Neue Systeme der Überwachung und Ingewahrsamnahme von ›Gefährdern‹ werden etabliert. Die grundlegende Bedeutung der Grund- und Menschenrechte für unseren Rechtsstaat gerät dagegen zunehmend ins Abseits. Dies gilt in besonderer Weise für die Rechte von Angeklagten durch die Verschiebung des täterorientierten hin zum opferorientierten Strafverfahren. Der/die Angeklagte sieht sich nicht nur mit der Allmacht der Strafverfolgungsbehörden konfrontiert sondern mit der fortlaufenden Besserstellung der Nebenklagerechte.

Insbesondere in Sexualstraf- und Missbrauchsverfahren findet sich der/die Angeklagte als bloßes Objekt von Publikum und Medien wieder. Schon bei Vorführung in den Gerichtssaal werden Angeklagte von der Presse massiv bedrängt. In der Boulevardpresse werden Angeklagte zunehmend unverpixelt zur Show gestellt. In den Netzwerken tobt sich der Mob in übelsten Beschimpfungen und Bedrohungen aus. Man fühlt sich an die Zeiten des Prangers erinnert. Von dieser Entwicklung bleibt die Strafverteidigung nicht unberührt. Verteidiger*innen werden in den Netzwerken beschimpft, es wird öffentlich verlangt, dass sie in Mord-/Vergewaltigungs-/Missbrauchsverfahren das Mandat niederlegen oder ein lebenslänglich mit anschließender Sicherungsverwahrung akzeptieren anstatt in die Revision zu gehen. Die Beschimpfungen vermischen sich mit massiven Drohungen gegen die Person der/des Verteidiger*in.

- Wie wirkt sich diese Entwicklung auf das Strafrecht von heute und morgen aus?

- Welche Möglichkeiten haben Strafverteidiger/innen das Recht des Angeklagten auf Verteidigung (Art.6 EMRK) zu verteidigen?

- Ist das in der Konvention verbriefte Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren noch gewährleistet?

- Sollen Verteidiger stärker als bisher die öffentliche Auseinandersetzung suchen und die Möglichkeiten der Medien nutzen?

- Welche Bedeutung können in diesem Zusammenhang die Berufsorganisationen wahrnehmen?

Referenten*innen:

- Prof. Daniela Klimke, Hamburg - Zur Einwirkung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung auf das Strafverfahren (siehe z.B. DIE ZEIT 08/17 »Wie die Opfer von Sexualverbrechen zu gesellschaftlichen Favoriten wurden«)

- Prof. Jörg Arnold, MPI Freiburg - zu den aktuellen Veränderungen im Strafverfahren

- RiLG Freiburg Wolfgang Kronthaler, Berichterstatter im sog. Dreisam-Mordprozess - Wie geht die Strafjustiz mit dem öffentlichen Druck um?

- Wiebke Ramm, Journalistin, Berichterstatterin für die SZ im NSU-Verfahren - zur Rolle der Medien

- RA Prof. Dr. Ulrich Sommer, Köln - zu neuen Herausforderungen an den Strafverteidiger

Moderation: RA Michael Moos, Freiburg

 

AG 5 : Abschied von der Wahrheitsfindung?

Idealerweise soll der Strafprozess bei gleichzeitiger Wahrung der Beschuldigtenrechte Wahrheitsfindung betreiben und einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt aufklären. Doch rückt dieses Ziel aufgrund von Änderungen im materiellen Recht und im Prozessrecht sowie aufgrund eines sich verändernden Zeitgeistes in immer weitere Ferne:

Die Vorverlagerung von Strafbarkeit bei ›Terrorverfahren‹, die Konzentration auf den subjektiven Tatbestand (›Nein-heißt- Nein!‹), die Schaffung immer neuer, kaum noch zu umgrenzender Straftatbestände (§§ 184 j, 89 a-c StGB), die Verwischung der Grenze von Polizeirecht und Strafrecht (BayPolAufgG) sowie die Implementierung des ›Deals‹ in das Prozessrecht, die Stärkung der Nebenklage und der Rolle des ›Opferzeugen‹, die schrittweise Abkehr vom Mündlichkeitsgrundsatz durch Stärkung der Verlesungsvorschriften und die V-Mann-Problematik stellen die Grundsätze des rechtsstaatlichen Verfahrens in Frage und erschweren maßgeblich die ›Wahrheits‹findung. Hinzu kommt, dass der reaktionäre Zeitgeist grundlegende Errungenschaften des demokratischen Rechtsstaats in Zweifel

zieht, während es für eine engagierte Verteidigung, die sich auf die Unschuldsvermutung stützt, immer schwerer wird, sich durchzusetzen.

Stimmt diese Zustandsbeschreibung? Und was bedeutet dies für unsere Arbeit als Strafverteidiger*innen? Kommen wir mit unserem üblichen Rüstzeug eigentlich in Zukunft noch weiter? Müssen wir uns auch selbst in unserem täglichen Handeln neu aufstellen?

Referent*innen:

- Dr. Oliver Harry Gerson - ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitant am Lehrstuhl Prof. Dr. Robert Esser an der Universität Passau. Er hat sich grundlegend mit dem Begriff der Wahrheit sowie mit der wahrnehmungslenkenden Funktion der Sprache im Strafprozess befasst. Er weist nach, welchen Einfluss auf das Endergebnis bereits die (oft unbewusst gewählte) Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten im Strafprozess hat.

- Prof. Dr. Luise Greuel - ist Rektorin der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen. Sie ist als

Aussagepsychologin bundesweit forensisch tätig. Sie wird zur Rolle der Aussagepsychologie seit der Leitentscheidung des BGH (BGHSt 45, 164) referieren und kann bewerten, welche Konsequenzen die neue Rechtslage im Sexualstrafrecht für die Arbeit der Aussagepsychologie hat.

- Prof. Dr. Tobias Singelnstein - lehrt am Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr-Universität Bochum. Er hat vielfach zum Thema ›staatliches Handeln in Zeiten der Sicherheitsgesellschaft‹ sowie zum ›Einfluss des Zeitgeistes auf die Rechtsanwendung‹ veröffentlicht. Er wird die Schnittstellen zwischen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen und Rechtswirklichkeit in seinem Vortrag beleuchten.

- RA Prof. Dr. Helmut Pollähne - ist Strafverteidiger und Honorarprofessor an der Universität Bremen sowie Redakteur des STRAFVERTEIDIGER. Er wird aus der Sicht des Strafverteidigers und Kriminologen den Blick aus der Praxis auf die aufgeworfenen Fragestellungen werfen. Welche Konsequenzen muss die Strafverteidigung aus den sich veränderten Rahmenbedingungen ziehen?

Moderation: RA Arne Timmermann, Hamburg

 

AG 6 : Strafverteidigung von Rechtsextremisten?

 

Seit der sog. Flüchtlingswelle 2015 ist in Sachsen wie auch in vielen anderen Bundesländern ein erheblicher Anstieg von Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund zu verzeichnen. Aber schon davor waren v.a. in den östlichen Bundesländern erhebliche rechtsextreme Strömungen festzustellen.

Häufig werden neben der Verfolgung von Einzeltätern zunehmend mehr oder weniger organisierte Personengruppen ins Visier der Strafverfolgungsbehörden genommen. Beispiele wie die GRUPPE FREITAL, FKD, OSS, NSU usw. gibt es zu Genüge. D.h., dass auch Strafverteidiger*innen in zunehmendem Maße mit solchen Verfahren konfrontiert werden. Die AG soll sich über die Verteidigung in solchen Verfahren Gedanken machen. Hierzu gehört auch, über die Ursachen des Rechtsextremismus nachzudenken, der in Teilen der Bevölkerung verharmlost wenn nicht sogar gutgeheißen wird. Strafverteidiger*innen aus Sachsen leben in einer Pegida-Gegenden mit einem AfD-Stimmenanteil von deutlich über 20 Prozent. Ausgeprägte Demokratiefeindlichkeit und Misstrauen gegen Politik und Justiz sind weit verbreitet. Dazu kommt ein Gebräu aus Rassismus, Islamfeindlichkeit, Bildungsferne und Zukunftsangst. Begünstigt ein solches gesellschaftliches Klima rechtsextreme Gewalt und Straftaten?

Es soll eine Zustandsbeschreibung erfolgen, insbesondere durch die eingeladenen Journalist*innen:

- Mit welchem Gefährdungspotential hat man zu tun?

- Hilft man als engagierte/r Strafverteidiger*in am Ende den Rechtsextremen durch engagierte Verteidigung?

- Ist Strafrecht ein taugliches Mittel zur Abwehr/Eindämmung des Rechtsextremismus?

- Welchen Einfluss nimmt die AfD, die in nahezu allen Parlamenten vertreten ist?

 

Auch soll ein geschichtlicher Abriss des Rechtsextremismus in Deutschland erfolgen.

Wollen wir die Verteidigung in solchen Verfahren sog. Szeneanwälten überlassen, die es ja auf der linken Seite auch geben soll? Kann, darf oder muss ich als ›linker‹ Verteidiger Mandanten aus dieser Szene vertreten? Ist die Justiz/Polizei auf dem rechten Auge sehschwach oder gar blind? Eine Arbeitsgruppe, die eine realistische Zustandsbeschreibung entwickeln soll, Lösungen bleiben wahrscheinlich ein

Wunschtraum.

Referent*innen:

- RA Rolf Franek, Dresden (Verteidiger u.a. im ›Gruppe-Freital‹-Verfahren)

- OStA beim BGH (GBA Karlsruhe) Jörn Hauschild, u.a. Anklagevertreter im ›Gruppe-Freital‹- und OSS-Verfahren.

- Matthias Meisner, Journalist beim TAGESSPIEGEL, Mitherausgeber des Buches ›Unter Sachsen‹

- Andrea Röpke, freie Journalistin mit dem Themenschwerpunkt Rechtsextremismus, vielfach ausgezeichnet

- Daniel Köhler, GERMAN INSTITUTE ON RADICALIZATION AN DE-RADICALIZATION STUDIES (GIRDS)

Moderation: RA Alexander Hübner, Dresden

AG 7 : Datenschutz im Strafverfahren

 

Vor nunmehr 35 Jahren hat das Bundesverfassungsgericht mit dem ›Volkszählungsurteil‹ (BVerfG 65, 1ff, 41 ff) aus Art 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung abgeleitet und damit den Datenschutz auf eine verfassungsrechtliche Basis gestellt. Es ist seither ganz allgemein anerkannt, dass das hoheitliche Sammeln von personenbezogenen Daten immer einer gesetzlichen Grundlage bedarf, die einem überwiegenden Allgemeininteresse dienen und insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen muss. Wird die in der Eingriffsbefugnis speziell festgelegte Zwecksetzung bei der Verwendung/Übermittlung der Daten an andere Stellen überschritten, so bedarf diese Zweckentfremdung zur Verwertung einer weiteren spezifischen Rechtsgrundlage. Ferner ist anerkannt, dass die private Lebensgestaltung in ihrem Kernbereich der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist, also auch im Strafprozess schlechthin »unantastbar« ist.

Soweit die graue Theorie. In der Praxis sieht der Datenschutz im Strafprozess in Zeiten des ›War on Drugs, Terror and Organized Crime‹ aber anders aus. Gegenüber der von Polizei, Innenpolitikern und Strafkammertagen geforderten Steigerung der Effizienz der Verbrechensbekämpfung im Strafverfahren kommt das in Sonntagsreden gern beschworene Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung regelmäßig zu kurz. Um der Polizei Zugriff auf vor allem digital gespeicherte oder übermittelte Daten zu verschaffen, hat der Gesetzgeber in den letzten 30 Jahren eine Unzahl von Eingriffsbefugnissen erlassen, deren Tatbestandsvoraussetzungen die nach dem Volkszählungsurteil gebotene Abwägung mit dem ›Datenschutzgrundrecht‹ regelmäßig vermissen oder zu dessen Lasten ausfallen lassen, zuletzt bei der im Handstreich vom Gesetzgeber durchgepeitschten Einführung von Quellen-TKÜ/Online-Durchsuchung in die StPO.

Auch der ›nemo tenetur‹ Grundsatz ist Ausprägung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Auskunftsund Herausgabepflichten, zum Beispiel in der ZPO, Fahrerlaubnisverordnung, Insolvenzordnung und der Abgabenordnung zwingen den Betroffenen gleichwohl zur Preisgabe potentiell belastender Daten. Die wiederum dürfen trotz im Grundsatz bestehender Verwendungs- und Verwertungsverbote (etwa in § 30 AO, § 97 Abs. 1 S. 3 InsO) nach vom Gesetz vorgesehenen oder von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmeregeln zunehmend im Strafverfahren zu Lasten des Betroffenen verwertet werden. Nicht zuletzt droht dem Datenschutz des vom Strafverfahren Betroffenen auch Ungemach durch die zunehmend aus

Quellen der Polizei und Staatsanwaltschaften genährte identifizierende Verdachtsberichterstattung, oft sogar noch Jahre nach dem Abschluss des Strafverfahrens. Das Argument des Datenschutzes ist Staatsanwaltschaften und Strafgerichten aber wohlfeil, um das legitime Interesse des Verteidigers an der Einsicht in die von der Polizei nicht verschrifteten Teile von im Ermittlungsverfahren erhobenen TK-Daten abzubügeln. Eine Menge Gründe, dem Thema Datenschutz eine eigene AG zu widmen, die sich den Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Datenkrake de lege lata und dem Datenschutz im Strafverfahren dienenden Reformvorschlägen widmen soll.

 

Referent*innen:

- RiLG Dr. Ulf Buermeyer, Berlin

- RA Dr. Lucas Brost, Köln - zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen und zeitlichen Grenzen der identifizierenden Verdachtsberichterstattung in der Presse/in den Onlinemedien

- StAin Susann Wettley, Berlin - zu Akteneinsicht in Telekommunikationsdaten

- RA Dr. Tobias Rudolph, Nürnberg, – zur Reichweite des Steuergeheimnisses im Strafverfahren

- Prof. Dr. Mark A. Zoeller, Trier - zu Grenzen der ›Zweckentfremdung‹ von Daten aus anderen Verfahrensordnungen

Moderation: RA Peter Syben, Köln.

 

AG 8 : Pflichtverteidigerbestellung

 

Die EU-Mitgliedstaaten müssen bis zum 25. Mai 2019 die im Oktober 2016 vom EU-Parlament und vom Europäischen Rat verabschiedete Richtlinie EU 2016/1919 ›über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls‹ in nationales Recht umgesetzt haben. Die Umsetzung dieser Richtlinie macht die Neuregelung des deutschen Rechts zur Pflichtverteidigerbestellung zwingend notwendig. Die Strafverteidigervereinigungen haben im Mai 2018 das Policy Paper ›Neuordnung der Pflichtverteidigerbestellung‹ veröffentlicht, sich darin mit der Richtlinie auseinandergesetzt und Vorschläge zu deren Umsetzung formuliert. Als Stichworte seien genannt die frühzeitige Beiordnung, und zwar unverzüglich und spätestens vor einer Befragung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörde, also die Einführung des ›Verteidigers der ersten Stunde‹ sowie insbesondere die Verlagerung der Auswahl des Verteidigers – das Vorschlagsrecht! – von den Gerichten auf die Rechtsanwaltskammern.

Bis zum Strafverteidigertag wird das Gesetzgebungsverfahren weiter vorangeschritten sein oder sich gar im finalen Stadium befinden, sodass – neben dem Policy Paper – auch die Vorschläge der Bundesregierung und der jeweiligen Justizverbände vorliegen dürften, die im Rahmen der Arbeitsgruppe vorgestellt und inhaltlich diskutiert werden sollen.

 

Referenten:

- Prof. Dr. Matthias Jahn, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und Richter am Oberlandesgericht

Frankfurt am Main

- OStA beim BGH Oliver Sabel, Leiter des Referats RB2 (Gerichtliches Strafverfahren) im Bundesministerium der Justiz

und für Verbraucherschutz

- Ulf Thiele, Ulf Thiele, Amtsgericht Ahrensburg, Sprecher der Fachgruppe StrafR der Neuen Richtervereinigung

- RA Lefter Kitlikoglu, Frankfurt/Main

Moderation: RA Tim Burkert, Hamburg.