Stellungnahme

Ereignis

Stellungnahme zur Reform des Prostitutionsgesetzes

13.12.2013
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Mitteilung des Organisationsbüros der Strafverteidigervereinigung zur angekündigten Reform des Prostitutionsrechts durch die Große Koalition Berlin, 13. Dezember 2013 Nach Medienberichten plant die Große Koalition eine Verschärfung des Prostitutionsrechts u.a. durch die Einführung der sog. Freierbestrafung. Kund/innen von Sexarbeiter/innen sollen demnach mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen müssen, wenn sie »wissentlich und willentlich« die Dienste einer/s Zwangsprostituierten in Anspruch nehmen und die Zwangslage der/des Betroffenen für sie ersichtlich ist. Im Koalitionsvertrag heißt es: »Wir werden nicht nur gegen die Menschenhändler, sondern auch gegen diejenigen, die wissentlich und willentlich die Zwangslage der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution ausnutzen und diese zu sexuellen Handlungen missbrauchen, vorgehen.«|1 Etwa gleichlautend zitierte die FAZ Gesundheitsstaatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU): »Wer Zwangsprostituierte wissentlich und brutal ausbeutet, soll auch damit rechnen müssen, dass zu Hause die Polizei vor der Tür steht.

Die Strafverteidigervereinigungen lehnen dieses Vorhaben ab. Mit dem Prostitutionsgesetz von 2002 hat der Gesetzgeber einen richtigen Weg eingeschlagen, der auf einen besseren Schutz und eine gesellschaftliche Akzeptanz von Sexarbeiterinnen sowie bessere Arbeitsbedingungen zielt. Nur außerhalb der Strafbarkeitssphäre kann Ausbeutungstendenzen im Bereich der sexuellen Dienstleistungen durch rechtliche Standards für angemessene Löhne, gewerbliche Mieten etc. begegnet werden. Hier besteht großer zivilrechtlicher und sozialer Handlungsbedarf, der von flächendeckenden Beratungsangeboten (bspw. in den Hauptherkunftsländern ausländischer Sexarbeiterinnen) bis zu steuer- und versicherungsrechtlichen Regelungen gegenüber Vermietern reicht. Die angekündigte repressive Reform des Prostitutionsrechts und die Erweiterung der strafrechtlichen Sanktionierung stehen solchen Anstrengungen diametral entgegen. Sie schaffen weder mehr Sicherheit für Sexarbeiter/innen, noch sind sie geeignet die sog. Zwangsprostitution zu bekämpfen. Sie drängen vielmehr Prostitution zurück in eine Grauzone zwischen Verbot und Legalität und wirken kontraproduktiv auf alle Versuche, die Situation von Sexarbeiterinnen zu verbessern. Dies gilt auch für die angestrebte Einführung einer sog. »Freierstrafbarkeit« bei Inanspruchnahme von unter Zwang herbeigeführten sexuellen Dienstleistungen. Zwar scheint vorderhand einleuchtend, nicht die betroffenen von Zwangsprostitution zu sanktionieren, sondern diejenigen, die deren Dienste in Anspruch nehmen und von der Ausbeutung der Sexarbeiterinnen profitieren. Bereits mehrere Gesetzesinitiativen zielten in der Vergangenheit auf die Einführung einer Freierbestrafung unter unterschiedlichen Vorzeichen.|2 Tatsächlich wirft die angekündigte Freierbestrafung aber eine Reihe grundsätzliche und massive praktische Probleme auf. Die Strafbarkeit soll sich Ankündigungen zufolge auf die willentliche und wissentliche Indienstnahme von Zwangsprostituierten beschränken. Dies setzt voraus, dass dem Kunden die Zwangslage bewusst ist oder – im Sinne eines bedingten Vorsatzes – er aufgrund äußerer Umstände damit rechnen muss, dass es sich um eine sog. Zwangsprostituierte handelt. Fälle aber, in denen sexuelle Handlungen unmittelbar erzwungen werden, sind bereits durch das Kernstrafrecht hinlänglich strafbewehrt. Das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung gilt auch für Sexarbeiterinnen, die Sanktionierung der entsprechenden Rechtsgutsverletzungen - Vergewaltigung, gemeinschaftliche Vergewaltigung, Nötigung, Freiheitsberaubung oder Körperverletzung - schützt auch (Zwangs)Prostituierte. Es besteht insofern ersichtlich keine Regelungslücke. Wirksam wird die geplante Freierbestrafung daher absehbar vor allem im Bereich der angenommenen Kenntnis des Kunden von der Zwangssituation der Sexarbeiterin. Problematisch ist dabei die Feststellung eines bedingten Vorsatzes. Die in der Vergangenheit diskutierten Indizien, die auf eine Zwangslage schließen lassen sollen (schlechter körperlicher Zustand, Merkmale von Gewaltanwendungen, vergitterte Fenster, abgeschlossene Türen und der deutschen Sprache unkundige Sexarbeiterinnen), warfen bereits mehr Fragen auf, als sie Antworten boten. Türen können nach Außen oder nach Innen verschlossen werden; dass eine Sexarbeiterin des Deutschen nicht mächtig ist, weist erst einmal nur darauf hin, dass sie (Sex)Arbeitsmigrantin ist.|3 In jedem Falle weist die gesetzgeberische Warnung über den begrenzten Bereich der Zwangsprostitution hinaus: Kontakte zu Sexarbeiterinnen, die sich möglicherweise in einer Situation auslandsspezifischer Hilflosigkeit oder einer – wie auch immer gearteten – Zwangslage befinden sind potentiell strafbar. Nicht die Ausbeutung von Sexarbeiterinnen, die zu sexuellen Handlungen gezwungen werden, wird erfasst; diese ist ja ohnehin längst strafbar. Die reine Möglichkeit, dass es sich um Sexarbeit unter wie auch immer gefassten Zwangsverhältnissen handeln könnte, markiert die Strafbarkeitsgrenze. Dies aber ist wenigstens potentiell in weiten Teilen des Sexmarktes gegeben, da bereits das Ausnutzen einer ökonomischen Notlage als Grundlage für eine strafbewehrte Ausbeutung gelten kann.|4 So wird die vorderhand so naheliegende Freierbestrafung vor allem als symbolisches Strafrecht Wirkung entfalten: Ohne tatsächlich Sexarbeiterinnen vor Zwang und Ausbeutung zu schützen, wird der gesamte Bereich bezahlter sexueller Dienstleistungen zurückgedrängt in die Sphäre des Illegalen. In der Illegalität und in der Grauzone zwischen Erlaubtem und Verbotenem sind die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen am schlechtesten. Wo immer sie gezwungen sind, ihre Dienstleistungen im Verborgenen zu erbringen, steigt das gesundheitliche Risiko und die Gefahr, Opfer von Gewalttaten zu werden. Dies ist - auch angesichts der vorhandenen Zahlen zum Sexarbeitsmarkt - nicht zu rechtfertigen. Es sei denn, dass man dies genau so will und die geplante Reform weniger Ausdruck der Sorge um das Wohl von Sexarbeiterinnen ist als vielmehr auf eine moralische Abwertung von Sexarbeit insgesamt zielt. Die wenigen belastbaren Daten zur Sexarbeit in Deutschland legen nahe, dass es sich bei der Zwangsprostitution um ein Randphänomen handelt|5: Geschätzte 400.000 Männer und (überwiegend) Frauen bieten in Deutschland sexuelle Dienstleistungen an. Für 2011 nennt das BKA lediglich 482 abgeschlossene Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem bereits sehr weitgefassten § 232 StGB. In 27 % dieser Fälle gaben die betroffenen Frauen an, damit einverstanden gewesen zu sein, dass sie sexuelle Dienstleistungen erbringen, aber unter ausbeuterischen Bedingungen zu arbeiten gezwungen waren (i.d.R. Schulden). Diesen Fällen ist mit einer weiteren strafrechtlichen Sanktionierung nicht geholfen. Menschen, die ausgebeutet und zu sexuellen Handlungen gezwungen werden, benötigen Beistand und Schutz. Die angekündigten Reformen sind nicht in der Lage diesen zu bieten, im Gegenteil: Sie werden sich kontraproduktiv auf die Bemühungen auswirken, Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter/innen zu verbessern. Das Strafrecht ist Ultima Ratio – es taugt nicht dazu, moralische Werte gesellschaftlich zu verankern. Symbolisches Strafrecht ist immer problematisch, da es den Anschein von Problembewusstsein erweckt und Handlungsbereitschaft durch eine »Bekämpfungs«-Maßnahme simuliert, zugleich aber den Blick von erforderlichen Maßnahmen ablenkt. Vordringliche Aufgabe einer künftigen Regierung, die sich ernsthaft um das Wohl von Sexarbeiterinnen sorgt, wäre es, ein ziviles Recht der Prostitution zu schreiben, das verbindliche Standards für Entlohnung und Arbeitsbedingungen festlegt. Rationale Rechtspolitik sollte sich an tatsächlichen Erfordernissen orientieren, nicht an öffentlichen Kampagnen zur Hebung der Sexualmoral. Anmerkungen: 1 Koalitionsvertrag, S. 104 2 Bt-Drs. 15/5326, BR-Drs. 140/05, Bt-Drs. 16/1343 3 In solchen Fällen dürfte die bereits jetzt in § 232 Abs. 1 StGB enthaltene auslandsspezifische Hilflosigkeit zum Tragen kommen. 4 Erforderlich ist das Bestehen einer ernsten wirtschaftlichen oder persönlichen Bedrängnis oder Ausnahmesituation, wie wirtschaftlicher Ruin, Wohnungslosigkeit, Krankheit, Scheidung oder Arbeitslosigkeit… Es ist strittig, ob schlechte soziale Verhältnisse, etwa im Herkunftsland der Prostituierten, zur Annahme einer Zwangslage genügen.« Stephan Kuhn, Rollentausch im Rotlichtviertel, in: Thiée (Hg.), Menschen Handel. Wie der Sexmarkt strafrechtlich reguliert wird, Berlin 2008, 70 f. 5 Erinnert sei an die verfälschten Zahlen, die im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2006 in der Öffentlichkeit genannt wurden: 40.000 Zwangsprostituierte würden nach Deutschland geschleust. Nach der WM blieben fünf Ermittlungsverfahren (!) übri

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