Stellungnahme

Ereignis

Strafvollzug / Föderalismusreform

12.07.2006
Startzeit: 00:01

Universität Hannover
Juristische Fakultät
Lehrgebiet Strafrecht
Strafprozeßrecht Strafvollzugsrecht Rechtstheorie
Prof. Dr. Rolf-Peter Calliess

30.6.2006

An den
Bundespräsidenten
der Bundesrepublik Deutschland
Herrn Dr. Horst Köhler
Schloß Bellevue
10557 Berlin

 

Betr.: Änderung des Grundgesetzes
Bezug: Föderalismuskommission
Hier: Strafvollzug
Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf die Länder

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

lieber Herr Köhler,

ich bitte Sie, bei der Unterzeichnung des verfassungsändernden Gesetzes zur verfassungsrechtlichen Neuordnung der Kompetenzverhältnisse zwischen Bund und Ländern darauf Bedacht zu nehmen, daß die bisherige Gesetzeskompetenz des Bundes für den Strafvollzug erhalten bleibt.

Eine Übertragung auf die Länder verstößt gegen grundlegende Vorschriften des Grundgesetzes ist damit verfassungswidrig.

Begründung

Der Strafvollzug gehört nicht in das Reformpaket der Verfassungsänderung, denn die Kompetenzen für den Strafvollzug sind im Grundgesetz zwischen Bund und Ländern klar und effizient geregelt. Diese Kompetenzaufteilung hat sich in der Praxis bewährt. Deshalb besteht kein Handlungsbedarf.

1.

Die von Bundestag und Bundesrat für die Föderalismuskommission beschlossene Aufgabenstellung (BT 15/1685; BR Dr. 750/03) lautete nicht, überhaupt und ganz generell Vorschläge für eine Verfassungsrevision zu unterbreiten. Diese Aufgabe lautete vielmehr, jenen Kompetenzwirrwarr zwischen Bund und Ländern zu lichten und zu beseitigen, der nach Inkrafttreten des Grundgesetzes im Laufe der Zeit besonders im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91 a, 91 b GG) entstanden war und für den gegenwärtigen Reformstau mitverantwortlich ist.

So ist denn der Strafvollzug, der ursprünglich gar nicht zur Verhandlungsmasse der Föderalismuskommission gehörte, in dem Moment in einer Nacht- und Nebelaktion zum Gegenstand der Föderalismuskommission gemacht worden, als diese im Dezember 2004 an der Bildungsfrage zu scheitern drohte. Sachwidrig und ohne Not wurde das im Grundgesetz nach 100-jähriger Gesetzgebungsgeschichte festgelegte und mit dem Strafvollzugsgesetz vollendete Prinzip der Einheit der Strafrechtsordnung (StGB, StPO, StVollzG) bayerischen Partikularinteressen zuliebe zur Disposition gestellt.

2.

Die von Bundestag und Bundesrat beschlossene Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Absatz 1 Nr. 1 GG für den Strafvollzug auf die einzelnen Bundesländer verstößt somit gegen grundlegende Regelungen der Verfassung.

2.1.

Eine Überantwortung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder bedeutet einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz, daß jeder Bürger vor dem Gesetz

gleich ist (Art. 3 Abs. 1 GG). Jeder Bürger, der nach den einheitlichen Regelungen des Bundes, dem Strafgesetzbuch und der Strafprozeßordnung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, hat auch Anspruch darauf, daß die Freiheitsstrafe nach denselben Prinzipien bundesweit vollzogen wird. Dem dient das nach Art. 74, Abs. 1, Nr. 1 GG im Jahre 1977 von Bundestag und Bundesrat einhellig verabschiedete und bisher im Ganzen als erfolgreich geltende und in der Praxis bewährte Strafvollzugsgesetz. Eine Rückverlagerung der Gesetzgebungskompetenz vom Bund auf die Länder würde bedeuten, daß je nach ideologischem Standpunkt der politischen Mehrheiten in den Bundesländern die nach dem StGB und der StPO bundeseinheitlich verhängte Freiheitsstrafe nicht mehr gleich Freiheitsstrafe ist. Es ist keinem Bürger verständlich zu machen, weshalb in einem Bundesland der Vergeltungs- oder bloße Verwahrvollzug und in anderen Bundesländern wie bisher nach dem geltenden Strafvollzugsgesetz das Bestreben um Resozialisierung den Vorrang haben soll. Die verwaltungstechnischen Zufälligkeiten, in welchem Bundesland die Freiheitsstrafe vollstreckt und vollzogen wird, tragen ein Übriges zur Ungerechtigkeit der beschlossenen Revision der Verfassung bei.

2.2.

Nicht zuletzt hat das Grundgesetz selbst eine verfassungsrechtliche Sperre gegen die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug aufgerichtet.

Nach Art. 79 III GG verstößt die beabsichtigte Übertragung der Gesetzgebungskompetenz vom Bund auf die Länder gegen die in Art. 1 GG garantierte Menschenwürde. Denn die von einigen Bundesländern erklärte Absicht ist, zum Sicherungs- und Verwahrvollzug sowie zum Vergeltungsvollzug alter Tage zurückzukehren. Der vom Strafvollzugsgesetz festgelegte und vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Vorrang der Resozialisierung wird aufgehoben oder beliebig nivelliert (vgl. Calliess/Müller-Dietz, Komm. StVollzG, 10. Aufl. 2005, Anm. 1 ff. zu § 2). Das verstößt nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Regeln gegen die Menschenwürde.

Aus den oben genannten Gründen muß es bei der bisherigen Gesetzgebungskompetenz für den Bund (Art. 74 I GG) bleiben. Sie darf nicht auf die Länder übertragen werden.

Ich hoffe auf ein entsprechendes Ergebnis und bin

mit freundlichen Grüßen

Ihr Prof. Dr. Calliess

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